An das
ZDF „heute journal“
Herrn Dr. Stefan Leifert

55100 Mainz – per Mail vorab am 6.11.24    –   München, 7.11.2024

„heute journal“ am 1.11.2024 zum Inkrafttreten des Selbstbestimmungsgesetzes

Sehr geehrter Herr Dr. Leifert,

über die Berichterstattung des „heute journals“ zum sogen. Selbstbestimmungsgesetz am
1.11.24 sind wir, gelinde gesagt, sehr verwundert:

  • In den gesamten 9.30 Minuten Bericht bekommt die Kritik am Gesetz nahezu keinen Raum:
    ca. 15 Sekunden dauert der O-Ton von Prof. Bernd Ahrbeck, Psychologe,
  • ca. 20 Sekunden die O-Töne von zwei Teilnehmerinnen der Kundgebung gegen das Gesetz in
    Berlin am 1.11.24.

Mit Ausnahme des kurzen Berichts über den Fall im Fitnessstudio in Erlangen kommen sonst im gesamten Beitrag ausschließlich Befürworter des Gesetzes zu Wort, wie Petra Weitzel von der dgti oder Personen in einem queeren Café.

Besonders verwunderlich ist, dass Frau Hayali im Anschluss geschlagene 5 Min. 20 Sek. als Experten einen jungen Mann interviewt, der keinerlei wissenschaftliche Expertise zum Thema Geschechtsdysphorie/Transsexualität hat (auch nicht zu irgendeinem anderen), Fabian Grischkat. Im Wikipedia-Eintrag zu seiner Person steht, dass er das Gymnasium nach der 9. Klasse verlassen hat, um ein Berufskolleg zu besuchen. Hat er dort Abitur gemacht? Das wird nicht erwähnt. Ebenso wenig wie eine Berufsausbildung oder ein Universitätsstudium. Webvideoproduzent sei er, Moderator und Aktivist. Sein Beitrag als „Sachverständiger“ vor dem Deutschen Bundestag bestand darin, die Haltung von Feministinnen wie Alice Schwarzer als „faschistoide Ideologie“ zu bezeichnen.

Auf der Rednerinnenliste der Demonstration gegen das sogen. Selbstbestimmungsgesetz am 1.11.24 vor dem Bundeskanzleramt ab 12.05 Uhr, veranstaltet von der Initiative „Lasst Frauen sprechen“ und „Frauen sprechen!“, Berlin, standen u.a

  • Helen Joyce
    irische Mathematikerin, Journalistin (zuletzt bei The Economist), Autorin des Sachbuchbestsellers Trans: When Ideology meets Reality (deutsch: Fakten über Transgender, Magas Verlag), laut The Times eines der besten Bücher des Jahres 2021
  • Prof. em. Dr. Monika Barz
    Sozialwissenschaftlerin, em. Professorin für Frauen- und Geschlechterfragen an der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg, Trägerin des Bundesverdienstkreuzes am Bande
  • Dr. med. Martina Lenzen-Schulte
    Ärztin, Medizinjournalistin, Redakteurin beim Deutschen Ärzteblatt, Sachbuchautorin
  • Dr. Dipl.-Psych. Ingeborg Kraus
    Psychologische Psychotherapeutin, Traumatherapeutin
  • Dr. Isabel Rohner 
    Kulturwissenschaftlerin, Expertin für die Geschichte des Frauenwahlrechts, Buchautorin

Alle diese fachlich hochqualifizierten und bestens informierten Frauen hätten Sie interviewen können – aber Sie haben sich für einen 24jährigen „Influencer“ ohne jeden wissenschaftlichen Hintergrund entschieden.

Kann man das nun auf Sexismus oder auf „Ageismus“ zurückführen? Anders gesagt: Hat Ihre Redaktion allgemein ein Problem mit Frauen als Expertinnen für Themen, die Frauen angehen – oder nur etwas gegen Frauen über 40?

Kritikpunkte am Interview von Frau Hayali mit Herrn Grischkat gibt es viele, hier die wichtigsten:

1. Gleich zu Beginn raunt Herr Grischkat von „großen Einflussnahmen“ von „queerfeindlichen Netzwerken in Europa und weltweit“ und von „Finanzierungen, die wir aus Russland tracken können“ (dies ist besonders bemerkenswert: Herr Grischkat formuliert gerade so, als würde er als Teil einer Gruppe für irgendeine Institution forschen, was ja definitiv nicht der Fall ist), „auch aus Mexiko“ und von „Evangelikalen in den USA“.

Er führt keine Belege für diese nebulösen Aussagen an, insbesondere nicht in Bezug auf die Kritikerinnen des Selbstbestimmungsgesetzes, die die Protestveranstaltung am 1.11.24 organisiert und durchgeführt haben, die Moderatorin fragt auch nicht nach. Mit solcherart Geraune werden gern politisch missliebige Gegner geframed, jede Kritik als „rechts“ diffamiert – ohne, dass man sich inhaltlich damit auseinandersetzen müsste. Wahrscheinlich bezieht sich Herr Grischkat auf Papiere wie „Die Spitze des Eisbergs: Religiös-extremistische Geldgeber gegen Menschenrechte auf Sexualität und reproduktive Gesundheit in Europa 2009 – 2018“ aus dem Jahr 2021, das natürlich nicht er erarbeitet hat, sondern Neil Datta, Sekretär des Europäischen Parlamentarischen Forums für sexuelle und reproduktive Rechte. Auf 110 Seiten werden hier tatsächlich Finanzierungen an religiös-extremistische Organisationen untersucht. Aber hier geht es um Haltungen z.B. gegen Abtreibung, gegen die Ehe für alle und für ein höchst konservatives Familienbild. Diese Haltungen haben mit dem feministischen Protest wie bei der Kundgebung in Berlin und – seit Jahren von Ihnen völlig unbeachtet – in sozialen Netzwerken und kleinen, aber mutigen (online-)Publikationen nicht das geringste gemein! Sehr viele Frauen, die hier protestierten, sind lesbisch und haben gute Gründe, gegen das Gesetz zu sein. Wir haben auch an Sender des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wie den Ihren geschrieben, um z.B. gegen Gleichsetzung mit „Scheißhaufen“ durch Jan Böhmermann zu protestieren und unsere Argumente darzulegen. Resonanz: gleich Null. Die meisten kritischen Feministinnen kommen übrigens aus dem grünen und linken Milieu.

Aber solche Differenzierungen interessieren Sie ja nicht im geringsten, Recherche Ihrerseits gibt es nicht – Sie sind noch nicht einmal in der Lage, zu erkennen, wie geschickt dieser junge Aktivist manipuliert, indem er seine Diffamierung von Frauen, insbesondere Lesben, in den undefinierten Begriff „queerfeindlich“ verpackt.

2. Besonders unverschämt ist die Behauptung seitens Herrn Grischkat, kritische Feministinnen seien eine „sehr kleine, aber laute Minderheit“, die „Argumenten nicht zugänglich“ sei. Wir sind (noch) eine Minderheit, das mag stimmen – aber das liegt vor allem daran, dass Sie, die Medien (wie auch die Politik mit einigen wenigen Ausnahmen) unseren wohlbegründeten Argumenten in keiner Weise zugänglich sind. Andernfalls hätten Sie im Vorfeld des 1.11. einmal bei der DemoOrganisation wegen Interviews nachgefragt. Laut sollen wir sein? Das Gegenteil ist der Fall: Wir werden nicht gehört, gesilenced, verteufelt. Es hat den gesamten 1.11. über stündlich immer um 12.05 Uhr weltweit Proteste von Feministinnen vor deutschen Botschaften und Konsulaten gegeben. Was erfährt das Publikum der öffentlich-rechtlichen Sender darüber? Nichts.

3. Geradezu zynisch ist die Feststellung Herrn Grischkats, „durch alle Altersgruppen“ seien „20 bis 30 Prozent“ nicht darüber informiert, was im Gesetz steht, er wolle gerne nun „mit der Information hier im ZDF beginnen“. Tatsächlich ist die breite Mehrheit nicht darüber informiert, was im Gesetz steht, weil Sie, die öffentlich-rechtlichen Medien, darüber nicht angemessen informiert haben. Zu hören war lediglich der immer gleiche Aktivistensprech, wie er auch auf der Website der Bundesregierung zu lesen ist: Das Gesetz solle es „trans-, intergeschlechtlichen und nonbinären Personen erleichtern, ihren Geschlechtseintrag zu ändern“, vorher seien dafür „demütigende, teure Gutachten und ein Gerichtsbeschluss nötig gewesen“ – in verschiedenen Variationen. Wir Feministinnen haben in den letzten Jahren jede vorgelegte Fassung des Selbstbestimmungsgesetze durchgearbeitet und juristisch geprüft, haben Bundestagsdebatten verfolgt und Expertenanhörungen. Wir haben Bücher und Artikel über die Genderidentitätstheorie gelesen und geschrieben, laut deren – wissenschaftlich völlig unbelegtem und unbelegbaren – Konzept es „Geschlechtsidentitäten“ geben soll, die vom biologischen Geschlecht völlig unabhängig sind und dieses quasi überstimmen. Wir haben wissenschaftliche Studien gelesen, die u.a. zeigen, dass

  • es keinerlei Belege dafür gibt, dass sich die seelische Gesundheit von Jugendlichen verbessert, wenn man sie in ihrem Wunsch nach „Transition“ ins andere Geschlecht bestärkt, so wie es mit diesem Gesetz geschieht
  • hingegen Behandlungen mit Pubertätsblockern und gegengeschlechtlichen Hormonen sowie geschlechtsangleichende Operationen, die diese Jugendlichen häufig wünschen, mit großen gesundheitlichen Risiken und Einschränkungen einhergehen
  • nach medizinischen „Transitionen“ Suizidalität und Selbstverletzungen zunehmen
  • es große Ähnlichkeiten zwischen Magersucht und empfundener Transidentität gibt, die darauf hindeuten, dass es eher auf Schwierigkeiten mit der körperlichen Entwicklung in der Pubertät zusammenhängen könnte, wenn junge Mädchen ihre Weiblichkeit ablehnen und verleugnen, als mit einer „Identität“.

Wir haben immer wieder aufgezeigt, dass das deutsche Selbstbestimmungsgesetz große Risiken für Frauen und Mädchen birgt, wie auch die UN-Sonderberichterstatterin für Gewalt gegen Frauen und Mädchen, Reem Alsalem, in einem 17seitigen Brief an die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock kritisiert hat. Sie warnt ausdrücklich vor Verletzung der Menschenrechte von Frauen und Mädchen durch das Gesetz. Ihre Berichterstattung dazu: 0.

Es ist eine Frechheit, zu behaupten, wir wären nicht informiert. Als viele von uns kritischen Feministinnen bereits an europäischen Universitäten studierten, war der zukünftige Darsteller einer Nebenrolle im Film „Bibi und Tina: Mädchen gegen Jungs“ Fabian Grischkat noch nicht einmal geboren.

4. Sie haben kurz vor dem Interview mit dem Experten Grischkat einen Beitrag über Doris Lange und ihr Frauenfitnessstudio in Erlangen gezeigt, in dem die Beauftragte der Bundesregierung für Antidiskriminierung, Ferda Ataman, ganz klar sagt, dass ihrer Einschätzung nach das AGG es verbietet, Menschen „wegen ihres Aussehens“ den Zugang zu solchen Einrichtungen zu verwehren; das Hausrecht gelte hier nicht. Und wenig später lässt Frau Hayali Herrn Grischkat unhinterfragt etwas von „Hausrecht“ und „Einzelfall“ murmeln, als es um genau diesen Fall geht?

5. Abenteuerlich ist die Aussage von Herrn Grischkat, „einen Transhype könn[t]en wir nicht empirisch feststellen und belegen“. Natürlich kann er dergleichen weder empirisch feststellen noch belegen, weil er ja in keinster Weise forscht. Aber ernstzunehmende Experten stellen sehr wohl weltweit das besorgniserregende Ansteigen der Zahl von Jugendlichen fest, die sich wegen Geschlechtsdysphorie, dem Leiden an einer empfundenen Unstimmigkeit des körperlichen Geschlechts mit der Selbstwahrnehmung, in darauf spezialisierten Zentren vorstellen:

Das Deutsche Ärzteblatt schrieb schon im Jahre 2022: „Die Zunahme der registrierten Minderjährigen, die eine Behandlung suchten, betrug in einzelnen Zentren sogar bis zu 4.500 % innerhalb eines Jahrzehnts (2009–2018). Allein die Zahl der Mastektomien zum Angleichen der äußeren Erscheinung hat sich einer jüngsten US-Studie zufolge zwischen 2013 und 2020 verdreizehnfacht, vorgenommen bei Mädchen im Alter ab 12 (bis 17) Jahren“ zitiert das Ärzteblatt aus verschiedenen internationalen Studien.  Die Zahlen von Mädchen und Jungen, die wegen Geschlechtsdysphorie in spezialisierten Kliniken Hilfe suchen, nehmen rasant zu:

– Diese Grafik zeigt, dass die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die sich in Großbritannien wegen Geschlechtsdysphorie beim GIDS (Gender Identity Development Service) an der Londoner Tavistock Klinik vorstellten, sich innerhalb eines Jahres mehr als verdoppelte: Über 5000 Kinder und Jugendliche suchten dort im Zeitraum 2021-2022 Hilfe, was eine Steigerung von 112% zum Vorjahreszeitraum ausmacht. Besonders hoch ist der Anteil an geschlechtsdysphorischen Mädchen im Alter von 12-17. (Da die Klinik ab 2020 – 21 keine Daten mehr über das biologische Geschlecht erhob, sind die Flächen grau.)  Weil immer wieder behauptet wird, Genital-OPs an Minderjährigen zur „Geschlechtsangleichung“ würden in Deutschland nicht durchgeführt: Hier finden Sie Daten  zum Anstieg genau dieser Operationen in Deutschland.

6. Immer wieder gern unkritisch von den Medien, auch von Ihnen hier wieder verbreitet die Falschinformation, die beiden Gutachten, die das Transsexuellengesetz vor einer Änderung des Geschlechtseintrags vorschrieb, seien vom BVerfG für verfassungswidrig erklärt worden. Das Gegenteil ist der Fall: In seiner Entscheidung vom 11. Januar 2011 – 1 BvR 3295/07 – erklärte das Gericht explizit:

„Da das Geschlecht maßgeblich für die Zuweisung von Rechten und Pflichten sein kann und von ihm familiäre Zuordnungen abhängig sind, ist es ein berechtigtes Anliegen des Gesetzgebers, dem Personenstand Dauerhaftigkeit und Eindeutigkeit zu verleihen, ein Auseinanderfallen von biologischer und rechtlicher Geschlechtszugehörigkeit möglichst zu vermeiden und einer Änderung des Personenstands nur stattzugeben, wenn dafür tragfähige Gründe vorliegen und ansonsten verfassungsrechtlich verbürgte Rechte unzureichend gewahrt würden. Dabei kann er, um beliebige Personenstandswechsel auszuschließen, einen auf objektivierte Kriterien gestützten Nachweis verlangen, dass die selbstempfundene Geschlechtszugehörigkeit, die dem festgestellten Geschlecht zuwiderläuft, tatsächlich von Dauer und ihre Anerkennung für den Betroffenen von existentieller Bedeutung ist. Dementsprechend setzt der Gesetzgeber für eine personenstandsrechtliche Änderung des Geschlechts nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 TSG unter Bezugnahme auf § 1 Abs. 1 TSG zunächst voraus, dass eine Person, die sich dem anderen als dem festgestellten Geschlecht zugehörig fühlt, durch zwei Gutachten voneinander unabhängiger Sachverständiger, die über einschlägige fachliche Kenntnisse und berufliche Erfahrungen auf dem Gebiet der Transsexualität verfügen, nachweist, mindestens seit drei Jahren unter dem Zwang zu stehen, den Vorstellungen über ihr Geschlecht entsprechend zu leben. Des Weiteren muss mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass sich das Zugehörigkeitsempfinden zum anderen Geschlecht nicht mehr ändern wird. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, die personenstandsrechtliche Anerkennung an solche Voraussetzungen zu knüpfen.“

Abschließend sei bemerkt: Eine derart schlechte, faktenwidrige und tendenziöse Berichterstattung über ein so wichtiges Thema, die Streichung des biologischen Geschlechts aus der Gesetzgebung, verhöhnt nicht nur uns Feministinnen, sondern alle Frauen, alle
Gebührenzahler. Falls Sie an einem seriösen Bericht zum Thema interessiert sind, in dem endlich auch einmal unsere Perspektive Raum bekommt, die Kritik von Frauen und Feministinnen, kommen Sie gern auf uns zu. Zeit wäre es.


Mit freundlichen Grüßen

Die Frauen der Frauen Aktion München FAM

 

PS: Zum Einstieg ins Thema eignet sich sehr gut das gerade erst erschienene Sachbuch von Dr. Alexander Korte, Leitender Oberarzt für Kinder- /Jugendpsychiatrie, Psychosomatik u. Psychotherapie, Klinikum der Universität München: Hinter dem Regenbogen: Entwicklungspsychiatrische, sexual- und kulturwissenschaftliche Überlegungen zur Genderdebatte und zum Phänomen der Geschlechtsdysphorie
bei Minderjährigen

 

Hier der Link zum Sendebeitrag:  ZDF heute journal vom 1.11.2024